The Matterhorn Story oder: auf das Horu geht man nicht

Der langjährige OK-Präsident des Matterhornlaufes jetzt als Schauspieler
Text von Kornelia Stinn - Fotos von Winfried Stinn

Der pensionierte Konditormeister Pius Fuchs rief einst den Matterhorn Lauf ins Leben. Zwanzig Jahre war er als OK-Chef verantwortlich für dessen Organisation. Der Matterhornlauf gehörte damals zu den beliebtesten Bergläufen Europas, 1991 wurde unter der Regie von Fuchs die Berglauf-Weltmeisterschaft ausgetragen. In vielerlei Hinsicht ist der Berg, der ganz in der Nähe seines Hauses das Panorama krönt, Mittelpunkt seines Lebens. Im Ruhestand nutzt Fuchs nun auch noch seine Zeit, um beim großen Freilicht-Theater mitzuspielen, das anlässlich der Feierlichkeiten zur 150-Jahre-Erstbesteigung des Matterhorns auf dem Gornergrat aufgeführt wird.

Zur Idee des Freilichttheaters

Als im Jahre 1865 der Gipfel des Matterhorns erstmals bestiegen wurde, war der Berg lange schon Spielwiese der Alpinisten. Hundertfünfzig Jahre nach dem dramatischen Absturz von vier Teilnehmern der siebenköpfigen Erstbesteiger-Seilschaft gedenkt nun das Freilichttheater dieses Ereignisses.

Das Matterhorn bricht wie ein monströser Feuerstein, ein riesiger Keil aus der Berglandschaft heraus. Wie ein Keil - so die Geschichte des Stückes - schiebt es sich auch zwischen die Menschen. Die einen - es sind allesamt Mitglieder des britischen Alpine Clubs -treibt der Ehrgeiz, es zu bezwingen - als einziger Viertausender der Alpen steht es noch auf ihrer ‚to-do-Liste!' Die anderen - das sind die Einheimischen - halten es für Gotteslästerung, sich seinem Gipfel zu nähern, auf dem angeblich die ruhelosen Seelen der Verstorbenen als Geister hausen. Die einen kommen Sommer für Sommer mit ihren feinen Frauen aus einer unbekannten Märchenwelt übers Meer herüber, um sich auf der Spielwiese der Berge auszutoben. Die anderen leben von dem was die karge Berglandschaft hergibt und steigen mit ihren störrischen Eseln die sonnenverbrannten Matten hinauf. Doch es ist kein schlechtes Zubrot, das die Touristen aus England bringen, wenn sie in dem armen Tal wohnen, wenn sie die einheimischen Bergführer für ihre Aufstiege engagieren. Als aber dann dieser Whymper, dieser großmäulige zeichnende Außenseiter der englischen Aristokratie nicht locker lässt und schließlich genug Geld bietet, so der Fortgang des Stückes, lässt sich Josef Taugwalder, einer der ihren, als Bergführer anheuern, um auch noch diesen bisher unbezwingbaren Berg zu erobern. Sie gelangen zwar hinauf, aber beim Abstieg reißt das Seil, als der Unerfahrenste von ihnen strauchelt. Er zieht drei von sieben Seilkameraden mit sich in den Tod. Hatten sie es nicht prophezeit unten im Dorf? Der Aufstieg würde Unglück bringen...

Das Stück spielt auf Riffelberg vor der impossanten Kulisse des Matterhorns Die Haupptrolle des Edward Whymper spielt Schaupiel-Profi Christoph Keller

Die Rolle von Pius Fuchs und seine Beziehung zum Matterhorn

Der alte Herr mit der groben Jacke und den wulstigen Gamaschen über den Schnürschuhen steht nachdenklich da und blickt in die Ferne. Sein Gesicht mit dem weißen Vollbart ist braungebrannt von der Sonne und sein weißes Haar glänzt. Ja, ein Bergführer könnte das sein. So stellt man sich einen Bergsteiger vor, der vermutlich auf eine reichhaltige Erfahrung zurückblickt.

Er spricht wenig. Man sagt es den Bergführern nach, dass sie schweigsam sind. Da ist zum Beispiel der Satz: "Auf das Horu geht man nicht". Er sagt das bestimmt und eindrücklich. Nachdem klar ist, dass vier der Erstbesteiger abgestürzt sind. Da stehen seine wenigen Worte im Raum oder besser: in der Landschaft wie eine dunkle Ahnung, die sich erfüllte. Er sagt, was alle Einheimischen damals dachten und die Zermatter Mitwirkenden des Freilicht-Spiels zum Ausdruck bringen: diesem Berg darf man nicht zu nahe kommen. Der rächt sich.

Nein, Bergführer ist er nicht im wahren Leben. Aber wenigstens in Zermatt geboren? Fehlanzeige - Pius Fuchs ist Luzerner, der eine Zermatterin geheiratet und seither zwei Drittel seines Lebens in dem Bergsteigerdorf am Fuß des ‚Horu' - wie die Einheimischen sagen - zugebracht hat. Bis er seine zweite große Liebe entdeckte brauchte es nicht lange. Bis heute ist er dem Matterhorn verfallen. Sein Haus, bei dem der sagenhafte Berg quasi ‚aus dem Garten'wächst, hängt voll von Ansichten, von alten Stichen seines Lieblingsberges. Zwanzig Jahre lang war er Chef vom Organisationskomitée des Matterhornlaufes. Dass er nun in seinem Antlitz einen Bergführer spielen kann, rundet sein Leben für das Matterhorn ab.

Szenenaufnahmen aus 'The Matterhorn Story'

Die Bedeutung der Einheimischen als Schauspieler im Freilicht-Theater

Die Autorin und Regisseurin von ‚The Matterhorn Story', Livia Richard setzt auf die Beziehung der Einwohner zu ‚ihrem' Berg. Keiner, so ihre Devise, kann überzeugender agieren als die Einheimischen selbst.

"Ich habe mein Stück den Zermatter Bergführern gewidmet", sagt sie. Die Geschichte der Erstbesteigung des Matterhorns ist die Geschichte der Vorfahren der heutigen Zermatter Einwohner. Sie gehört zu ihnen. Täglich haben sie diesen Berg vor Augen. So sind es zum Beispiel die Nachkömmlinge des Bergführers Peter Taugwalder, die ihren Urahnen und seinen Sohn spielen."

Richards Überzeugung bestätigt auch Schauspieler Josef Taugwalder, Ururenkel des alten Taugwalder, wenn er sagt: "Ich will dazu beitragen, dass Licht in das Dunkel von damals kommt. Dass meinem Ururgroßvater endlich Gerechtigkeit widerfährt." Was meint er damit?

Nach den dramatischen Ereignissen wurde nach einem Schuldigen gesucht. Die beiden Taugwalders und Whymper hatten den Sturz überlebt. Gerissen war das Seil an einer Stelle, wo der alte Taugwalder beim Abstieg ein dünneres Seil angeknotet hatte. War er also an dem Absturz schuld? Ein Makel blieb an ihm hängen. Trotz der Gerichtsverhandlung, die keinen Schuldigen benannte.

"Es war stark die Meinung vorhanden, dass Taugwalder eigentlich schuld war an dem Absturz" resümiert auch Pius Fuchs, "und es ließ sich schwer das Gegenteil beweisen. Whymper war weltgewandt, schob in Büchern und Briefen von sich selbst jeden aufkeimenden Verdacht, dass er es gewesen sein könne, der das Seil zerschnitt, um den eigenen Hals zu retten. Taugwalder konnte kaum schreiben und sich nicht genügend zur Wehr setzen." Jedenfalls bekam der alte Taugwalder zeitlebens kaum noch Aufträge als Bergführer.

"Das Stück bringt den Gang der Geschehnisse in eine andere Richtung und rehabilitiert Taugwalder", erläutert Pius Fuchs weiter.

Auf der Terrasse seines Cafés schildert er auch, wie es dazu kam, dass er zum Mitwirkenden wurde.

"Nachdem schon viele Mitwirkende feststanden, gab es eine weitere Anfrage an die Bevölkerung", erläutert er. Seine Frau Jolanda und er sagten sich da, dass sie auf diese Weise vielleicht etwas für Zermatt tun könnten. Wenn sie nicht überhaupt zu alt dafür seien, würden sie den Verantwortlichen möglicherweise noch für eine Statistenrolle tauglich erscheinen.

Nun hat es aber noch für mehr gereicht. Mit einem Bergführer identifiziert er sich gerne und seine Frau ist in die Rolle einer Bäuerin geschlüpft.

Das zerrissene Seil , das die Tragödie auslöste, spielt auch beim Freilicht Theater eine wichtige Rolle

Das Matterhorn als Highlight: Traumberg und Schicksalsberg

Sechsundreißig Aufführungen in diesem Sommer. Sechsundreißig mal von 1620 Metern mit der Gornergratbahn aufwärts fahren nach Riffelberg auf 2582 Metern Höhe. Das ist fünf Mal die Woche. Und nicht immer wird das Wetter so schön sein wie bei der Premiere, wo sich kein Wölkchen hinter das Matterhorn schlich und die Sonne bis beinahe neun Uhr abends vor 700 Gästen für brillante Beleuchtung sorgte.

Immerhin waren bereits vor der Premiere 11.500 Karten verkauft. Viele Gäste haben die Aufführung mit Übernachtung gebucht.

Vor Schauspieler Fuchs liegt der Walliser Bote. Beim Foto von der Premiere steht er in der Mitte, den großen Filzhut in der rechten Hand.

Eine Frau ruft über den Zaun seines Cafés: "Herr Fuchs ich habe Sie gestern im Theater gesehen. Sie machen das wunderbar!" Es ist die ehemalige Lehrerin seines Sohnes, der inzwischen die Bäckerei des Vaters übernommen hat. Da stehen immer noch die Pralinenpackungen mit den Schokoladen-Matterhörnern im Schaufenster. Pius Fuchs hatte vor Jahren die richtige Spürnase. Sie sind bis heute ein Renner unter den Mitbringseln aus Zermatt. Zwei Millionen wurden seither davon verkauft.

Fuchs kennt aber das Matterhorn nicht nur von seiner Schokoladenseite. Er war auch oben. Einmal. Und das ist für ihn unvergesslich. Dabei konnte er auch ermessen, dass ein Aufstieg für die Erstbesteiger mit ihren damaligen Möglichkeiten ungleich schwieriger war.

Fuchs: "Und wenn ich mir die Schuhe anschaue, die die trugen und wie ich sie ja im Stück auch trage, deren Pickel und die gesamte Ausrüstung, dann muss ich sagen, dass sie eine enorme Leistung erbracht haben. Die war unvergleichlich höher als heute."

Derjenige, der beim Absturz strauchelte, trug sogar Straßenschuhe mit glatten Sohlen. Doch wer trug die Schuld an dem Absturz?

Szenenaufnahmen aus 'The Matterhorn Story'

"Wahrheiten gibt es mehrere zu dieser Geschichte", sagt der einheimische Journalist Matthias Taugwalder, ein weiterer Nachkommen von Peter Taugwalder. Er entdeckte einen Brief des jungen Taugwalder, der darin äußerte, dass Whymper sich beim Aufstieg aus dem Seil herausschnitt, um als erster auf dem Gipfel zu sein. Deshalb soll dann dieses Seil beim Abstieg nicht lang genug gewesen sein. Und das sei der Grund gewesen, weshalb Peter Taugwalder das noch vorhandene dünnere Reserveseil einfügte. Taugwalder hat das bei der Gerichtsverhandlung nicht geäußert. Das Theaterstück setzt hier an.

Es wird am Ende zur nachträglichen Abrechnung mit Whymper. Danach soll er es gewesen sein, der das Seil durchschnitt. Wer schon kann die Wahrheit heute noch herausfinden? Nun jedenfalls kann auch der smarte Brite nicht mehr reden. Und Theater darf mit der Wahrheit spielen.

Das Matterhorn schaut dabei von seinem Podest aus zu. Und ist wahrscheinlich genauso gerührt wie die vielen Gäste auf den Tribünen, wenn ihm schließlich im Angesicht der untergehenden Sonne Peter Taugwalder Junior und seine wiedergefundene Braut Hand in Hand entgegenlaufen. Liebe, Leid und Intrigen vor einer Berg-Kulisse, wie sie berührender nicht sein kann. Und ein Schluss, der eine ganze Ortschaft mit einem ungeklärten Schicksal aussöhnt. Pius Fuchs ist an diesem Abend dem Weinen nahe. Ein Dorf ist zusammengewachsen. Die Zermatter Darsteller liegen sich in den Armen.

Auf die Frage, welches Ziel sie mit der Aufführung verfolgt, hatte Livia Richard im Vorfeld kundgetan: "Ich will die Menschen berühren mit der Geschichte. Genau das. Nicht mehr und weniger." Es ist ihr gelungen. Bei den Mitspielern und bei den Zuschauern.

Die Autorin und Regisseurin von ‚The Matterhorn Story', Livia Richard setzt auf die Beziehung der Einwohner zu ‚ihrem' Berg. Keiner, so ihre Devise, kann überzeugender agieren als die Einheimischen selbst Pius Fuchs der Initiator des Matterhornlauf hat mit 78 Jahren noch eine Karriere als Schauspieler begonnen

Zahlreiche Aufführungen , die zu 90 %. ausgelastet waren, fanden inzwischen statt. Die Rückmeldungen waren durchweg positiv. Nach einer Spielzeit von nun mehr als vier Wochen zieht Pius Fuchs Bilanz: "Unsere Erwartungen wurden weit übertroffen, die Stimmung und die Atmosphäre waren bislang einzigartig. Es hat Spaß gemacht, hier mit zu spielen", äußert sich Fuchs in einem Gespräch mit LaufReport.

So haben seine Frau und er ihre Leidenschaft für die Schauspielerei entdeckt. Wie wunderbar, wenn sich nach der Pensionierung noch ein solches Hobby auftut. Und dann auch noch mit stetem Blick auf den ganz persönlichen Traumberg.

Siehe auch 'Das Matterhorn - Sehnsuchtsberg der Alpen -
Auf den Spuren der Erstbesteiger in Zermatt, Breuil-Cervinia und Chamonix' HIER

Textbeitrag von Kornelia Stinn
Fotos von Winfried Stinn

Infos: www.zermatt.ch - www.freilichtspiele-zermatt.ch

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